Damoklesschwert über Finanzvertrieben

Gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. c Ziff. 2 FIDLEG gelten als Finanzdienstleisteungen u.a. «die Annahme und Übermittlung von Aufträgen, die Finanzinstrumente zum Gegenstand haben». Darunter fallen namentlich auch Mäkler und Agenten, die als reine Vermittler z.B. Aktien im Markt plazieren Auftrags der Emittenten. Sie waren bisher unreguliert. Art 3 Abs. 2 der Verordnung zum FIDLEG legt im weiteren fest: «Als Erwerb oder Veräusserung von Finanzinstrumenten im Sinne von Artikel 3 Buchstabe c Ziffer 1 FIDLEG gilt jede direkt an bestimmte Kundinnen und Kunden gerichtete Tätigkeit, die spezifisch auf den Erwerb oder die Veräusserung eines Finanzinstruments abzielt.». Zu den generellen Folgen daraus sei auf unseren bald erscheinenden Blogbeitrag verwiesen.

Ein besonderes, unwägbares und potenziell desaströses Risiko ergibt sich daraus, dass Art 26 FIDLEG festlegt:

«Finanzdienstleister dürfen im Zusammenhang mit der Erbringung von Finanzdienstleistungen Entschädigungen von Dritten nur annehmen, wenn sie:
a.die Kundinnen und Kunden vorgängig ausdrücklich über die Entschädigung informiert haben und diese darauf verzichten; oder
b.die Entschädigung vollumfänglich an die Kundinnen und Kunden weitergeben.
2 Die Information der Kundinnen und Kunden muss Art und Umfang der Entschädigung beinhalten und vor Erbringung der Finanzdienstleistung oder vor Vertragsabschluss erfolgen. Ist die Höhe des Betrags vorgängig nicht feststellbar, so informiert der Finanzdienstleister seine Kundinnen und Kunden über die Berechnungsparameter und die Bandbreiten. Auf Anfrage legen die Finanzdienstleister die effektiv erhaltenen Beträge offen.
3 Als Entschädigung gelten Leistungen, die dem Finanzdienstleister im Zusammenhang mit der Erbringung einer Finanzdienstleistung von Dritten zufliessen, insbesondere Courtagen, Kommissionen, Provisionen, Rabatte oder sonstige vermögenswerte Vorteile.»

Es handelt sich in etwa um die Rechtslage, die das Bundesgericht bezüglich Retrozessionen aus dem Auftragsrecht ableitet. Gilt das nun auch für die Provisionen, die Finanzvertriebe von ihren Auftraggebern, den Emittenten erhalten? Wenn ja, würde deren Geschäftsmodell sehr erheblich erschwert, wenn nicht geradezu vernichtet.

Namhafte Juristen vertreten die Auffassung, dass dieses Risiko besteht. Es soll hier auf die akademische Diskussion nicht näher eingegangen werden; nur zwei «Verteidigungslinien» seien kurz angedeutet:

  • Das FIDLEG ist gar kein Privatrecht; Ansprüche auf Herausgabe von Provisionen im Einzelfall können nicht darauf gestützt werden.
  • In der Konstellation der Finanzvertriebe als Makler oder Agenten ist der Anleger nicht «Kunde» (sondern Gegenpartei des Kunden des Vertriebs) und die Emittenten sind nicht «Dritte» sondern die Kunden der Vertriebe.

Ob sich eine dieser Einsichten durchsetzt, ist aber ungewiss. Praktisch fragt es sich heute für Finanzvertriebe, was sie unternehmen sollen, um sich gegen den GAU zu wappnen, plötzlich die ganzen Provisionen vieler Jahre, also ihren ganzen Umsatz, herausgeben zu müssen.

Auf den ersten Blick scheinen folgende Varianten denkbar:

  1. Informationspflichten so gut wie möglich erfüllen und Provisionen behalten. Nachteil: Bleibende Rechtsunsicherheit, Wohl erhebliche Beeinträchtigung der Plazierungschancen.
  2. Die einzelnen Mitarbeiter an den Emittenten ausleihen, so dass sie dessen Arbeitnehmer werden. Dies dürfte grossen administrativen Aufwand und Führungsprobleme mit sich bringen.
  3. Die Finma formell anfragen. Selbst wenn sie sich auf eine Auskunft festlegen sollte, würde diese aber den Zivilrichter nicht binden.
  4. Negative Feststellungsklage gegen einen Anleger, eine wohl eher rechtstheoretische Lösung.

Nicht im Sinne des Gesetzes, aber praktisch wohl am häufigsten dürfte der Ausweg sein, als Mäklerin eine Gesellschaft einzusetzen, die ihre Erträge laufend für Löhne und anderen Aufwand aufbraucht und, wenn der GAU eintritt, Konkurs geht. Wenn die Löhne marktgerecht waren, dürfte es kaum zu Durchgriffen kommen.

Interessant wird sein, was die Revisionsstellen zu der Frage beitragen. Verlangen sie, dass wegen diesem Rechtsrisiko die gesamten Provisionen zurückgestellt werden? Falls dies eintreten sollte, wird das Problem wohl sehr rasch akut und irgendwie gelöst. Andernfalls kann das Schwert noch lange über den sonst schon geplagten Köpfen der Finanzvertriebe baumeln.